10 JAHRE RECORD STORE DAY 22.04.2017

 

Am kommenden Samstag, den 22.04.2017 ist wieder Record Store Day – zum zehnten Mal.

Ich hatte einige Jahre ein eher positives Verhältnis zum Record Store Day, da ich zufälligerweise beim ersten Record Store Day 2008 bei Rough Trade East mit dabei war. Da spielten im Rahmenprogramm unter anderem Jason Molina und Billy Bragg und ich kaufte entspannt ein paar Platten. 2009 strich ich mir deshalb den Record Store Day im Vorfeld in meinem Kalender rot an und sah am selben Ort u.a. Pete Molinari und kaufte wieder ganz entspannt ein paar Platten und Singles ein und lungerte dort in unaufgeregter Atmosphäre den halben Tag herum.

2010 ist dann das Ganze für mich in London bereits gekippt. Ich fuhr vor Ladenöffnung zu Rough Trade East. Dort hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet und einzelne Leute hatten wohl auch vor dem Laden übernachtet. Die Leute wurden in Etappen in den Laden gelassen. Nachdem ich knapp eine Stunde angestanden hatte und noch gefühlte zwei Stunden vom Einlass entfernt war, wurde mir das zu doof. Ich fuhr weiter zu Sister Ray Records, doch dort dasselbe Bild. Zudem wurde dort alle paar Minuten in einer Art Newsticker bekannt gegeben, welche Platten schon ausverkauft waren. Die Leute die aus dem Laden kamen, streckten zum Teil Platten in die Luft und zeigten den in der Schlange stehenden glücklich ihre Beute. Dabei wechselten die Platten gegen Aufpreis mehrfach sofort den Besitzer. Ein offener Strassenhandel entwickelte sich. Auch das wurde mir schnell zu doof.

Ich fuhr weiter nach Greenwich zu „The Beehive“, einem kleinen Plattenladen in dem eigentlich nie viel los war. Doch auch dort dasselbe Bild. Nach einer Weile gab ich auch dort auf und beschloss die Sache weiter bei Ebay und Discogs zu verfolgen. Überraschenderweise wurden dort schon die RSD-Platten angeboten, nur eben für ein Vielfaches der ursprünglichen Preise, die ja schon hoch genug waren. Die Preistreiber und Spekulanten hatten den Record Store Day also in seinem dritten Jahr für sich entdeckt und versuchten den maximalen Profit zu erzielen.

Am späten Nachmittag fuhr ich dann nochmals zur Brick Lane zu Rough Trade East. Inzwischen war dort kaum mehr was los. Ich fragte die Fachverkäufer nach den Platten, die mich interessierten. Doch alles war restlos ausverkauft. In den Plattenfächern der Mitarbeiter hinter dem Tresen konnte ich jedoch mehrfach einige Cover der RSD-Releases erkennen. Da waren also auch viele gelandet bzw. gebunkert worden und vermutlich wurden dann davon einige auch in den Resellerbörsen zum Vorzugspreis angeboten?

Zu meiner Überraschung gab es am Montag darauf bei einem deutschen Onlinehändler fast die ganzen RSD-Platten zum regulären Preis. Vom Hype in England und den USA um den Record Store Day hatten in Deutschland noch nicht viele etwas mitbekommen. Dort bestellte ich dann problemlos die LPs und Singles die mich interessierten.

RSD in London machte also seit 2010/2011 nur mehr wenig Sinn, deshalb gab ich bei den Händlern meines Vertrauens in der Region Stuttgart in den Jahren 2011 bis 2015 im Vorfeld des RSD Listen mit Titeln ab und bekam davon tatsächlich das meiste am RSD ausgehändigt – doch es interessierten mich von Jahr zu Jahr immer weniger Titel.

Der Record Store Day ist im Laufe der Jahre nämlich immer mehr zu einem Hochpreisrecyclingtag der Musikindustrie verkommen. Da wird der Backingkatalog inzwischen zum x-ten Male kostengünstig wiederverwertet und zu teilweise unfassbaren Preisen unter dem Vorwand der Exklusivität auf den Markt geworfen.

Grässliche Picture Discs, lausige bis durchschnittliche Livemittschnitte und vom Sinn her kaum nachvollziehbare Releases werden nur zu dem Zweck veröffentlicht, ein „rares“ Sammlerstück zu erschaffen und den Käufern vorzugaukeln es handle sich dabei tatsächlich um eine echte Rarität oder gar Wertanlage. Dazu werden haufenweise Wiederveröffentlichungen von alles andere als besonderen Platten aufgelegt, die man in fast jedem 2ndhand Laden für zumeist kleines Geld in bestem Zustand im Original erwerben kann.

Viele „rare“ und „exklusive“ Releases sind zudem nichts anderes als normale Releases, die eben auf den Record Store Day gelegt werden und ansonsten regulär erhältlich sind. Statt auf grünem und gelbem Vinyl, dann eben in schwarz – sofern es überhaupt einen Unterschied gibt. Immer häufiger tauchen diese Veröffentlichungen einige Wochen später nach einer kurzen Sperrfrist sogar bei den großen Elektromarktketten auf.

Die eigentliche Idee mit dem Record Store Day der Schallplatte zu huldigen und somit die kleinen Independentstores zu unterstützen, war ursprünglich gut gemeint. Doch bringt es den kleinen Händlern herzlich wenig, wenn sie kein Retournierrecht haben, mit hohen Summen in Vorkasse gehen müssen und somit bei diesem Hochpreisevent ein ganz erhebliches finanzielles Risiko tragen und dazu noch als Handlanger für die Musikindustrie z.B. Sting, Madonna, Justin Bieber und Bruce Springsteen verkaufen dürfen.

So ist der Record Store Day inzwischen ein Abbild des ganzen „Vinylboomhypes“. Alles ist ziemlich rückwärtsgewandt auf die Musikvergangenheit ausgelegt und von Rereleases und Verpackungstricks der Musikindustrie gekennzeichnet. Sony, Universal und Warner, also alle drei großen Majorlabels, sind inzwischen die Drivingforce des Record Store Days, der sich damit schmückt als Initiative der kleinen unabhängigen Plattenläden entstanden zu sein. Also gerade jene Labels, die die Schallplatte bereits für tot erklärt und damit das Sterben von Plattenläden in den 1990er- und Nullerjahren mit eingeleitet haben, nutzen nun den RSD als Marketingtool für ihre Recycling-Deluxe-Vinyl-Editionen.

Neue Bands und Independentlabels mit aktueller Musik hingegen verkaufen nur sehr schwer Schallplatten und bekommen von dem „Boom“ nicht viel mit.

Nicht falsch verstehen – sicherlich gibt es auch beim diesjährigen Record Store Day einige wenige interessante und tatsächlich exklusive Veröffentlichungen zu kaufen, doch der ursprüngliche Sinn ist meiner Meinung nach inzwischen komplett verdreht worden.

Man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass es vielen Käufern nicht vordergründig um die Musik auf diesen Tonträgern geht, sondern der bloße Besitz ausreicht und man die Platten am liebsten originalverschweißt archiviert. Denn eines ist klar – nur dank der Gierigkeit und der Bereitschaft der Fans vor Plattenläden zu übernachten, Mondpreise für fragwürdige Produkte zu bezahlen, Schallplatten als Spekulationsobjekte zu betrachten und insgesamt einen Batzen Geld in Summe liegen zu lassen, funktioniert das ganze Spiel.

Sicherlich werden die Organisatoren des RSD und die Musikindustrie im Nachklapp vom erfolgreichsten RSD aller Zeiten sprechen, sich Onlinewucheranbieter, windige Reseller und Spekulanten wieder mal die Hände reiben und auch Käuferinnen und Käufer über ihre „Schätze“ und „Wertanlagen“ jubeln, doch wenn man unabhängige Schallplattenläden und insbesondere unabhängige Labels und unabhängige Bands wirklich unterstützen möchte und sich tatsächlich für Musik interessiert, dann sicherlich nicht am Record Store Day – sondern an allen anderen Tagen im Jahr.

Fazit: Der Record Store Day ist mehr als reformbedürftig, aber solange er in der Form, mit den Bedingungen und dem Schallplattenangebot so gut funktioniert, wird es natürlich so weitergehen.

 

 

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